Fotografieren ist wie kochen: Für fast alle Situationen findest du ein Rezept im Internet. Aber willst du dein Leben lang nur nach Rezept kochen? Heute gehen wir den nächsten Schritt!

„Wie stelle ich meine Kamera bei Sonnenuntergang ein?“
Ist das wirklich die richtige Frage?

Stell dir vor du interessierst dich brennend für das Thema Kochen. Du kaufst dir Rezeptbücher und kochst nach Rezept. Die ersten Versuche gelingen noch nicht so gut, aber schon bald bekommst du die Speisen genau so hin, wie sie auf den Fotos in dem Rezeptbuch aussehen.

Irgendwann stellst du dir ein paar Fragen.

  • Wieso verwende ich genau diese Zutaten?
  • Weshalb mache ich die Schritte in dieser Reihenfolge?
  • Was wäre das Resultat, wenn ich eine Komponente des Rezeptes verändere?

Wenn dir diese Gedanken kommen, dann ist das eines der eindeutigsten Zeichen: Es wird Zeit über das Kochen nach Rezept hinaus zu gehen.

In der Fotografie ist es das Gleiche. Du fängst damit an, dass du Kameraeinstellungen und Gestaltungsregeln lernst.

  • Bei fließenden Gewässern machst du Langzeitbelichtungen
  • „Wenn die Sonne lacht, nimm Blende 8.“
  • Nachts fokussierst du auf unendlich und machst die Blende ganz auf.
  • Das Motiv in der Bildmitte ist langweilig. Verwende die Drittelregel!
  • und viele weitere Dinge

Aber irgendwann solltest du anfangen nach Gründen zu fragen. Es wird Zeit von der Frage nach dem Wie weg zu kommen und sich mit dem Warum zu beschäftigen. Denn heute wird es Zeit vor allem eines zu lernen: Auch ohne Rezept zu kochen.

Warum statt Wie

Sei ehrlich: Wie häufig verwendest du Kameraeinstellungen oder Kompositionsregeln, weil du sie mal so gelernt hast? Wie häufig hinterfragst du das gelernte? Wann machst du dir Gedanken darum, warum du genau diese Einstellungen verwendest?

Gerade, wenn sie von scheinbaren Experten kommen: Wie häufig fragst du dich, warum das, was sie sagen richtig ist und beispielsweise bei Wasserfällen häufig Langzeitbelichtungen verwendet werden?

Zu Beginn hinterfragen wir diese Dinge sehr selten. Das ist auch okay, denn es wäre zu viel für den Anfang. Zunächst ist es wichtig, dass du Fortschritte machst und mit Rezepten zu arbeiten, ist ein guter Weg dafür.

Doch irgendwann solltest du den nächsten Schritt gehen. Du solltest anfangen statt nach Know-how nach Know-why zu suchen.

Was ist Know-why?

Der Ausdruck sagt es schon: „Wissen, warum“. Im Gegenteil zum Know-how, dem „Wissen, wie“, erklärt dir Know-why, warum du einen bestimmten Weg wählen solltest und nicht nur, wie du an dein Ziel kommst.

Warum aber fangen wir dann nicht mit dem Know-why an sondern eignen uns zunächst einmal Know-how an?

Ganz einfach: Wenn die Zutaten stimmen, kommst du mit Know-how schnell ans Ziel. Nach Rezept zu arbeiten ist einfacher, als die genauen Gründe für die Zutaten und Reihenfolgen zu kennen. Die Gründe hinter dem gelernten zu verstehen ist deutlich schwieriger zu erlernen.

In der Fotografie bedeutet das: Zu wissen dass man bei fließenden Gewässern eine Langzeitbelichtungen macht ist einfacher, als zu verstehen, was der Einfluss einer Langzeitbelichtung auf die Bildstimmung und Bildgestaltung ist.

Know-how vs. Know-why

Für den Vergleich möchte ich nochmal zum Kochen zurück kommen.

Beherrschst du das Know-how, kannst du ein Rezept perfekt umsetzen. Allerdings nur mit genau diesen Zutaten. Mit Know-why verstehst du, warum die gewählten Zutaten gut zueinander passen und weshalb eine bestimmte Reihenfolge wichtig ist.

Auswendiglernen von Kameraeinstellungen für Nachtaufnahmen, Landschaftsaufnahmen und Langzeitbelichtungen von Wasserfällen. Das ist Kochen nach Rezept. Du kennst die Einstellungen für die Umsetzung, aber fragst nicht nach dem Warum.

Was machst du, wenn sich die Zutaten ändern, die dir zur Verfügung stehen? Beherrschst du das Know-why, kannst du problemlos eine angepasste Version des Rezeptes zubereiten. Du hast nicht nur das Rezept gelernt, sondern auch die Regeln hinter dem Rezept verstanden.

Im Gegenteil zum Know-how ermöglicht dir Know-why auch in neuen Situationen klar zu kommen.Du willst den Sonnenuntergang fotografieren und stellst fest, dass mit den gelernten Kameraeinstellungen dein Foto viel zu dunkel ist?

Du willst den Sonnenuntergang fotografieren und stellst fest, dass mit den gelernten Kameraeinstellungen dein Foto viel zu dunkel ist? Vielleicht weißt du noch, wie du das Foto heller machst. Du weißt, dass die Blende etwas geschlossen ist (z. B. Blende 11). Du öffnest die Blende und schon ist das Foto hell genug.

Doch etwas ist anders. Dem Foto fehlt nun das gewisse Extra: Die schönen Strahlen der Sonne sind weg.

Wenn du die Blende deiner Kamera komplett öffnest, ist die Sonne relativ unspektakulär.


Schließt du die Blende etwas (größere Blendenzahl), entsteht hingegen ein wundervoller „Sonnenstrahlen-Effekt“, auch „Starburst“ genannt.

Du hast gelernt, welche Kameraeinstellungen für einen Sonnenuntergang benutzt werden sollten. Du hast nie hinterfragt, warum du die Blende schließt und was den Strahleneffekt an der Lichtquelle erzeugt. In dem Rezept stand Blende 11, also nimmst du Blende 11.

Wenn du verstehst, warum du Blende 11 nimmst, dann kannst du zwei Dinge tun:

  1. Du kannst selber entscheiden, ob du den Strahleneffekt in deinem Foto willst.
  2. Du kannst bei der neuen Lichtsituation entscheiden, ob du auf den Effekt verzichtest oder doch lieber mit anderen Mitteln die Helligkeit anpasst.

Welche Vorteile hat Know-why?

Durch Know-why weißt du wie, aber auch warum du bestimmte Einstellungen wählst. Du brauchst keine Vorlagen mehr um ein gutes Foto zu machen. Eine neue Situation, die du vorher nicht gelernt hast? In Zukunft kein Problem mehr!

Das bedeutet auch, dass du dein Endergebnis bereits vor dem Fotografieren vor Augen haben musst.

  • Welche Bildstimmung soll das finale Foto ausstrahlen?
  • Soll das Foto verträumt wirken?
  • Soll es kühl oder warm wirken?
  • Was ist dein Motiv?

Wenn du dich nur eine Sekunde vor dem Fotografieren damit beschäftigst, was du erreichen möchtest, dann machst du schon mehr als nur einen Schnappschuss.

Achtung Wortwitz!: Du kannst objektiv entscheiden, ob sich das neue Objektiv lohnt. Ein Experte sagt, das neue 2000€-Objektiv sei perfekt für die Landschaftsfotografie? Aber warum? Sind seine Landschaftsfotos dieselben wie deine? Ist das, was du hast wirklich schlechter, so dass es den Kauf eines neuen Objektives rechtfertigt?

Kurz gesagt:

Mit Know-why ist Schluss mit Kochen nach Rezept!

Jetzt twittern!

Know-why in der Landschaftsfotografie

Wie sieht Know-why in der Landschaftsfotografie aus und warum ist es besser als Landschaftsfotografie Know-how? Ein kleines Beispiel:

Langzeitbelichtungen

In der Landschaftsfotografie lernst du unter anderem Langzeitbelichtungen. Du lernst sie bei fließendem Gewässern und schnellen Wolkenbewegungen zu verwenden. Du kennst auch den direkten Effekt auf das Ergebnis: Bewegungen verschwimmen. Aber warum sind Langzeitbelichtungen ein beliebtes Mittel der Landschaftsfotografie?

  • Langzeitbelichtungen fügen deinem Foto eine weitere Dimension hinzu: Die Zeit. Du kannst in dem Foto sehen, was im Verlaufe der Zeit passiert ist.
  • Langzeitbelichtungen kann man nicht mit bloßem Auge sehen. Sieht man als BetrachterIn eines Fotos etwas anders, als gewöhnlich, findt man es gleich interessanter.
  • Verschwimmende Bewegungen lassen ein Foto „träumerisch“ wirken. Ein Effekt der in der Landschaftsfotografie häufig gewünscht ist.

Nun kennst du ein paar Gründe für Langzeitbelichtungen und weißt damit auch, wann du keine Langzeitbelichtung einsetzen solltest:

  • Bei dramatischen Sturmhimmeln, wenn du knackscharfe Wolken möchtest. Du willst kein „verträumtes“ Foto! Du willst die Härte des Sturmes.
  • Wenn du einen bestimmten Moment festhalten willst, der nur Bruchteile einer Sekunde anhält.
  • Es gibt keine sich bewegenden Elemente im Bild. Eine Langzeitbelichtung hat in der Regel keinen Effekt.

Doch noch mehr: Du kannst jetzt Langzeitbelichtungen bei Himmeln und Gewässern anwenden und zusätzlich in allen anderen Situationen. Keine Wolken oder fließende Gewässer im Bild, aber du willst trotzdem den „träumerischen“ Effekt erzielen? Du suchst einfach nach anderen Dingen, die sich bewegen:

  • Gras oder Getreide, dass sich im Wind bewegt.
  • Windräder, die sich drehen.

Bewusst fotografieren mit Know-why – 5 Schritte zur besseren Fotografie

Zum Abschluss eine Schritt-für-Schritt-Anleitung für Know-why in der Praxis. Wenn du dir die folgenden Punkte immer vor Augen hältst, kann nichts schief gehen:

  1. Frage nach den Gründen für alles, was du lernst. Es ist gut zu wissen wie du etwas macht, aber noch besser zu wissen warum.
  2. Hinterfrage auch die Begründungen, die dir geliefert werden. Führt eine Langzeitbelichtung wirklich immer zu einer „träumerischen“ Bildstimmung?
  3. Mach dir bei allem was du tust Gedanken über die Gründe. Kameraeinstellungen, Perspektive, Brennweite, Tageszeit, … Stell dir selber immer die Frage, warum du diese Zutaten genau so wählst.
  4. Alles zu aufwendig oder gerade nicht viel Zeit? Nimm dir bei jedem Foto nur eine Sekunde Zeit über das Bild nachzudenken, das du machen möchtest. Damit alleine machst du schon ein besseres Foto. (Danke an Tim für diese Idee im Kommentar meines Artikels über den fotografischen Blick.)

Schluss mit Rezepten?

Ein kleiner Hinweis zum Abschluss: Ich bin nicht dagegen nach Rezept zu kochen oder zu fotografieren.

Rezepte geben uns Sicherheit und sind leichter zu erlernen, wenn wir uns neu mit einem Thema beschäftigen. Andere haben diese Dinge für uns erprobt und wir wissen, dass sie so funktionieren. Es ist zunächst egal, dass wir die kompletten Zusammenhänge nicht verstehen.

Doch wenn du nicht genau auf die Zutaten achtest, dann kann das Rezept schnell in die Hose gehen. Dann ist man schnell frustriert und fühlt sich unfähig, da man anscheinend nichtmal nach Rezept arbeiten kann.

Irgendwann wird es Zeit nicht jedes Mal das Rezeptbuch aufklappen zu müssen. Irgendwann willst du mehr machen, als immer nur die gleichen Rezepte. Wenn du an diesem Punkt bist, dann wird es Zeit für Know-why.

Einblicke hinter die Kulissen

In meinen monatlichen Entstehungsgeschichten erfährst du genau diese Dinge zu meinem Fotos des Monats.

  • Wie es zu dem Foto kam
  • Wie ich den Spot gefunden habe
  • Welche Einstellungen ich für das Foto gewählt habe
  • Warum ich diese Einstellungen und Kompositionen wählte
  • Welche Probleme bei dem Shooting auftraten

Diese Praxisberichte gehen einmal im Monat exklusiv an die Mitglieder meines Triletters raus.

Nun wünsche ich dir viel Spaß beim Lernen und vor allem Fotografieren!

2 Kommentare

Schreibe eine Antwort

The maximum upload file size: 5 MB. You can upload: image. Drop files here